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Mai 2013

 

3896496980

Eduard Goldstücker
Die russische Revolution
Hoffnung und Enttäuschung.
Eduard Goldstücker zum Gedenken
Herausgegeben von Erhard Roy Wiehn
1. Auflage 2001, 43 Seiten, 13,60 €. ISBN 3-89649-698-0

 

Rezension in SUDETENLAND - Europäische Kulturzeitschrift -, Nr. 2, München 2007, S. 249-250, 49. Jahrgang

 

Koordinaten eines bewegten Lebens: Eduard Goldstücker, der im Oktober des Jahres 2000 87-jährig verstarb, hatte ein bewegtes Leben hinter sich. Kommunistischer Jugendverband, Nazibesatzung, erstes Exil in England, Rückkehr in die tschechoslowakische Heimat, Botschaftertätigkeit, Verhaftung und Verurteilung in der Zeit des böhmischen Stalinismus. Nach seiner Rehabilitierung spielte Goldstücker eine wichtige Rolle im Versuch, das offizielle Sozialismusgebilde von innen heraus zu reformieren und zu liberalisieren. Nicht ohne Erfolg, wie sich im Reformversuch des Jahres 1968 gezeigt hatte. Doch die Verhältnisse, sie waren nicht so! Die Truppen des Warschauer Paktes waren in der Nacht zum 21. August 1968 in das kleine mitteleuropäische Land eingefallen und hatten die Hoffnung nicht nur der tschechoslowakischen Reformkommunisten gewaltsam zerstört. Eduard Goldstücker war gezwungen, ein zweites Mal in seinem Leben den Weg in das englische Exil anzutreten. Das erste Mal hatten ihn die Nazis dazu gezwungen, das zweite Mal die sowjetischen Stalinisten. Grund genug für einen Vorkriegskommunisten wie Goldstücker, sich in einem Vortrag über „Die russische Revolution" Gedanken zu machen. Als Untertitel hatte Goldstücker „Hoffnung und Enttäuschung" gewählt. Anlass für diese Bilanz politischer Utopien war eine Vortragsreihe zum Orwell-Jahr 1984, die von der Sozialwissenschaftlichen Fakultät unter Leitung des Dekans Erhard Roy Wiehn veranstaltet worden war. Noch im Nachhinein erstaunlich ist Goldstückers Hinweis zu Beginn seines Vertrages, dass das Jahrhundert noch nicht abgeschlossen sei und er erwähnt als Beispiel das Revolutionsjahr 1789. Und in der Tat waren fünf Jahre später, im Herbst 1989, unvorhersehbare Ereignisse eingetreten, welche das Ende des „realen Sozialismus" eingeleitet und somit eine endgültige Rückkehr Goldstückers nach Prag ermöglicht hatten.

Die Bilanz der Utopien hatte in der Europäischen Linken im 20. Jahrhundert immer wieder eingesetzt. Zuletzt hatten 1981 die italienischen Kommunisten angesichts der polnischen Niederschla­gung des gewerkschaftlichen Auf Standes der Solidarnosc-Aktivisten offiziell in einer Resolution des Direktoriums der KPI davon gesprochen, dass „die Phase in der Entwicklung des Sozialismus, die mit der Oktoberrevolution begann, ihre treibende Kraft verloren hat". Eduard Goldstücker illustriert diese Analysen auf einer ganz biografischen Ebene. Er möchte zeigen, wie sich die Russische Revolution in seinem Leben widergespiegelt hatte und er belegt, wie „zwei Erlebniskomplexe, Hoffnung und Enttäuschung, oder genauer gesagt, Glaube und Skepsis" in zwei Reisen nach Moskau zum Ausdruck gekommen waren. Die erste Reise fand im Jahr 1935, die zweite im Jahr 1962 statt. Die erste Reise „stand völlig im Zeichen der begeisterten Bejahung, während der zweiten die Entzauberung und der Zweifel das Gepräge gaben".

Und dann kontrastiert Goldstücker seine Erinnerungen - die gläubigen der Jugend und die Skepsis der gereiften Persönlichkeit. Eine Einsicht dieses Gegensatzes vermag als aufschlussreiches Vermächtnis des 20. Jahrhunderts nachkommenden Generationen zur Mahnung dienen: „Sowohl meine persönliche Erfahrung als auch die historische dieses Jahrhunderts deuten dahin, dass, je stärker der Glaube ist, um so schwächer die Fähigkeit wird, diesen Glauben berührende Fragen rational zu beantworten."

Zwei kurze Berichte ergänzen das Bild über den politisch gereiften Intellektuellen. Maria Schorpp fasst ihre Eindrücke über einen Auftritt von Eduard Goldstücker zusammen und Karoline von Graevenitz berichtet über ihre persönlichen Begegnungen mit Goldstücker in dessen Wohnung in Barrandov.

Somit wird mit diesem Bändchen Eduard Goldstücker ein aufrichtiges Gedenken zuteil. Der Herausgeber Erhard Roy Wiehn betont in seinem Vorwort, dass diese Gedenkschrift „nicht zuletzt als eine Art »Kaddisch«" gedacht ist: „Goldstückers Schicksal war zwar gewiss nicht nur, aber auch jüdisches Schicksal."

Volker Strebet

Was aufgeschrieben, veröffentlicht und in einigen Bibliotheken der Welt aufgehoben ist, wird vielleicht nicht so schnell vergessen, wobei "der Holocaust als negativer Bezugspunkt der deutschen Geschichte" Jan und Aleida Assmann zufolge "dem deutschen Geschichtsbewusstsein keinesfalls den Boden entziehe, sondern vielmehr der abgründige Grund sei, auf dem es wieder aufgebaut werden könne" (zit. nach H.D. Gumbrecht 2001, S. N 5).

 

Dr. Drs. h.c. Erhard Roy Wiehn ist Professor (em.) im Fachbereich Geschichte und Soziologie der Universität Konstanz, Honorarprofessor der Universität Iaşi/Rumänien. In den letzten 20 Jahren veröffentlichte er vor allem Schriften zur Schoáh und Judaica.

 

Jüdische Überlebens- und Nichtüberlebensschicksale in und aus Tschechien und der Slowakei / /Jewish Fates  in and from Czechia and Slovakia

Zum Inhaltsverzeichnis der Edition / to the contents of the edition Shoáh & Judaica / Jewish Studies

 

 

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